10 Jahre Dokumentationsstelle Österreich
1.336 Fälle 2024: Antimuslimischer Rassismus bleibt Realität
Im zehnten Jahr ihres Bestehens dokumentierte die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus (Dokustelle Österreich) im Jahr 2024 1.336 Fälle antimuslimischer Übergriffe – sowohl gegen Muslim:innen als auch gegen Menschen, die als muslimisch wahrgenommen werden. Zwar liegt diese Zahl unter dem Rekordwert von 2023 (1.522 Fälle), doch bleibt das Ausmaß der Diskriminierung alarmierend, vor allem in einem politischen Klima, das zunehmend von Polarisierung, Hetze und struktureller Ausgrenzung geprägt ist.
Wahlkampfjahr 2024: Spitzenwerte im Spätsommer
Auffällig sind die Fallhäufungen in den Monaten August und September, die eindeutig im Zusammenhang mit dem Nationalratswahlkampf stehen. Wahlkämpfe sind seit Jahren ein Brennglas für antimuslimischen Rassismus in Österreich – das zeigt sich auch 2024 wieder deutlich.
Die Mehrheit der dokumentierten Vorfälle (etwa 75 %) ereignete sich online, etwa in sozialen Medien, Kommentarspalten oder per E-Mail. Doch auch im öffentlichen Raum, an Arbeitsplätzen und in Bildungseinrichtungen kam es zu einer Vielzahl an diskriminierenden oder gewaltvollen Handlungen.
Offline-Fälle: Beleidigungen, Ungleichbehandlung und struktureller Rassismus
Von den gemeldeten Offline-Fällen betrafen unter anderem :
- 19,9 % Beleidigungen im öffentlichen oder beruflichen Umfeld
- 19,4 % Ungleichbehandlung, z. B. in Bildungseinrichtungen, im Arbeitsumfeld oder im Gesundheitsbereich
Besonders muslimische Frauen berichteten von rassistischen Abwertungen in Arztpraxen oder Kliniken – sie wurden häufig auf ihr Äußeres reduziert oder nicht ernst genommen. Auch muslimische Ärzt:innen erlebten strukturelle Abwertung ihrer fachlichen Kompetenz.
Weitere dokumentierte Vorfallskategorien:
- 13,3 % Verbreitung von Hass (z. B. gezielte Hassnachrichten an muslimische Organisationen)
- 9,3 % Polizeigewalt
- 8,8 % Gefährliche Drohung
- 7,7 % Vandalismus und Beschmierungen
- 2,8 % physische Übergriffe
Ein Drittel der Vorfälle ereignete sich im öffentlichen Raum – Frauen berichteten dabei unter anderem von Bespucken, Beleidigungen und Bedrohungen.
Zehn Jahre Dokumentationsarbeit: Wissen schaffen, Sichtbarkeit stärken
Seit ihrer Gründung hat die Dokustelle über 9.000 Fälle dokumentiert – ein eindrucksvolles und zugleich bedrückendes Zeugnis des tief verankerten antimuslimischen Rassismus in Österreich. Ihre Arbeit geht jedoch weit über reine Dokumentation hinaus: Sie vermittelt Wissen, stärkt Betroffene und hinterfragt dominante gesellschaftliche Narrative, die Muslim:innen immer wieder unter Generalverdacht stellen.
Warum jede Meldung zählt – und wie sie erfolgen kann
Die Dokustelle ist auf die Meldung von Vorfällen durch Betroffene und Zeug:innen angewiesen. Denn nur durch Sichtbarmachung können Missstände erkannt und strukturell bekämpft werden. Meldungen können anonym oder namentlich erfolgen – über folgende Kanäle:
- Telefonisch
- Per E-Mail
- Über das Online-Formular auf www.dokustelle.at
- Über Social Media (z. B. via Instagram)
Jeder Fall wird ernst genommen. In einem ersten Gespräch bietet die Dokustelle psychosoziale Unterstützung, begleitet Betroffene durch nächste Schritte und leitet bei Bedarf an spezialisierte Beratungsstellen weiter.
Die Rolle der IGGÖ: Zugang, Vernetzung und Empowerment
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) arbeitet seit Jahren eng mit der Dokustelle zusammen – als institutionelle Partnerin, als Vermittlerin und als Sprachrohr für betroffene Gemeinden.
Durch ihre landesweite Präsenz in Moscheen und religiösen Gemeinden schafft die IGGÖ wichtige Zugänge zu jenen, die Diskriminierung erleben, aber sich selten an offizielle Stellen wenden. Dabei unterstützt die IGGÖ:
- Aktive Bekanntmachung der Dokustelle in den Gemeinden
- Sensibilisierungs- und Empowerment-Workshops gegen antimuslimischen Rassismus
- Fortbildungen für Imame, Gemeindevorstände und islamische Lehrkräfte
- Gemeinsame Veranstaltungen
Die IGGÖ sieht es als ihre Pflicht, Vertrauensräume zu schaffen, in denen Betroffene über ihre Erfahrungen sprechen können – ohne Angst, nicht ernst genommen oder instrumentalisiert zu werden. Denn Sichtbarkeit beginnt mit Zuhören.
Zehn Jahre: ein Auftrag für die Zukunft
Die 10-jährige Existenz der Dokustelle Österreich ist Ausdruck jahrelanger Kämpfe gegen rassistische Strukturen – von Organisationen, Einzelpersonen und Communities, deren Stimmen zu oft überhört wurden.
Die IGGÖ dankt der Dokustelle für ihren unermüdlichen Einsatz und bekräftigt:
Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir stehen an der Seite der Betroffenen – für eine gerechtere, solidarische und diskriminierungsfreie Gesellschaft.