Islamische Militärseelsorge im österreichischen Bundesheer

26.09.2024 | Interreligiöser Dialog, Militärseelsorge, News, Seelsorge

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Der Offizier” wird die wichtige Rolle der islamischen Militärseelsorge beleuchtet. Unsere beiden engagierten Militärseelsorger, Kenan Čorbić und Hajret Beluli, haben dort einen Beitrag verfasst, der die Bedeutung der seelsorgerischen Betreuung muslimischer Soldaten im österreichischen Bundesheer eindrucksvoll darstellt.

Die islamische Militärseelsorge trägt maßgeblich dazu bei, dass Soldat:innen ihren Dienst im Einklang mit ihren religiösen Überzeugungen leisten können und fördert darüber hinaus den interreligiösen Austausch innerhalb des Militärs.

Wir möchten Kenan Čorbić und Hajret Beluli herzlich für ihren Beitrag und ihr unermüdliches Engagement danken.

Erschienen in: Der Offizier, 3/2024

Die österreichische Gesellschaft begegnet dem Islam bereits im 9. Jahrhundert. Die ersten Kontakte werden über Kaufleute geknüpft, sind jedoch nicht positiv. Der Islam wird von der überwiegend christlichen Bevölkerung zunächst als Häresie behandelt. Leider werden größere Kontakte auf dem Schlachtfeld durch zwei Belagerungen von Wien 1529 und 1683 aufgezeichnet.[1] Der Islam wird in Österreich zwar am 20. Mai 1874[2] anerkannt, erlangt aber erst mit dem Berliner Kongress einen etwas anerkannteren Status. Mit dem Berliner Kongress am 13. Juli 1878 und der Okkupation von Bosnien und Herzegowina verändert sich auch die Haltung gegenüber dem Islam und seiner Kultur. Nach der Okkupation unternimmt die österreichisch-ungarische Regierung zahlreiche wirtschaftliche, soziale und kulturpolitische Maßnahmen mit dem Ziel, die Macht im besetzten Gebiet zu sichern. Um die muslimischen Truppen bestmöglich zu betreuen, wird ab 1882, dem Jahr der Ausweitung der Wehrpflicht auf Bosnien und Herzegowina, die islamische Militärseelsorge eingeführt. Zunächst wird im provisorischen Militärgesetz von 1881 der Bedarf an zwei Militärimamen geäußert, die die Seelsorge unter Muslimen wahrnehmen sollen. Die institutionelle Organisation des islamisch-religiösen Lebens in der Armee wird mit dem ersten Militärimam Mehmed ef. Kokic im Jahr 1882 verbunden.[3] Der Mufti von Sarajevo, Hilmi ef. Hadžiomerović, schlägt vor, Mehmed ef. Kokić aus Zenica zum Militärimam zu ernennen. Dieser Vorschlag wird vom Kaiser mit Allerhöchster Entschließung am 1. Dezember 1882 bestätigt. Einige Jahre später, 1888, wird ein weiterer Militärimam Mehmed ef. Bećiragić aus Sarajevo, mit Dienstort Wien, ernannt. Mit dem Dekret vom 17. September 1913 wird mit Hafiz Abdullah ef. Kurbegović auch der erste Militärmufti II. Klasse für die in Wien dislozierte 25. Infanterie-Division bestellt. Die Militärimame hatten den Rang eines Militärkaplans 2. Klasse: dies entspricht dem eines Hauptmanns, mit der Möglichkeit auf Vorrückung in die 1. Klasse. Amtssitz sowie Dienstort wurden durch das Generalkommando in Sarajevo bestimmt. Mit der Aufstellung der bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Regimenter verfolgte die Monarchie das Ziel, für jedes Regiment einen aktiven Militärimam zu stellen. Insgesamt dienten in der Armee der Monarchie bis 1917 neun Militärimame.

Die Wiedereinführung der islamischen Militärseelsorge im Jahr 2015

Der Islam ist mit 8,3 % der Gesamtbevölkerung bei der Volkszählung 2021 nach Katholiken (55,2 %) die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Österreich (Atheisten 22,4 %, Orthodoxe 4,9 % und Evangelische 3,8 %). Bei einer Bevölkerungszahl von 8.935.839 Personen leben in Österreich rund 745.600 Musliminnen und Muslime.[4] Durch den wachsenden Anteil von Muslimen an der österreichischen Bevölkerung wird die Frage nach einer institutionalisierten islamischen Militärseelsorge Anfang des 21. Jahrhunderts wieder aktuell. Es dauerte 98 Jahre, bis die Politik in der Zweiten Republik 2015 beschloss, zwei Militärimame zu beauftragen, die muslimischen Soldaten des Österreichischen Bundesheeres zu betreuen. Mit der Novellierung des Islamgesetzes von 1912 im Jahr 2015 wird im Österreichischen Bundesheer auch die islamische Militärseelsorge eingeführt. Am 19. 6. 2015 wurde eine gesetzliche Regelung für die „Religiöse Betreuung für Angehörige des Bundesheeres“ erlassen, die am 22. 7. 2015 nochmals revidiert wurde.

Bei der Zusammenarbeit mit muslimischen Seelsorgern werden folgende Kriterien eingehalten: Gemäß Art. 11 Abs. 2 Islamgesetz von 2015 kommen für den Dienst nur Personen in Betracht, die aufgrund ihrer Ausbildung und ihres Lebensmittelpunktes in Österreich fachlich und persönlich dafür geeignet sind. Sie unterstehen in allen konfessionellen Belangen der Religionsgesellschaft, in allen anderen Angelegenheiten dem jeweiligen Kommandanten bzw. Dienststellenleiter. Die fachliche Eignung liegt nur dann vor, wenn ein Abschluss eines Studiums gemäß Art. 24 des Islamgesetzes 2015 oder eine gleichwertige Qualifikation vorliegt. Darüber hinaus ist eine Ermächtigung durch die Religionsgesellschaft erforderlich. Die Seelsorger haben auch die Verpflichtung, Beeinträchtigungen des Dienst- und Ausbildungsbetriebes zu vermeiden. Sie unterliegen der Verschwiegenheit und haben vor Beginn der Ausübung ihrer Tätigkeit eine entsprechende Verschwiegenheitserklärung zu unterschreiben. Ihre Aufgaben als Militärseelsorger, vor allem beim Lebenskundlichen Unterricht und bei den Gemeinschaftsgebeten, haben sie – ausgenommen bei Rezitationen aus dem Koran und bei Bittgebeten – in deutscher Sprache wahrzunehmen. Für den gesamten Bereich der islamischen Militärseelsorge sind zwei Militärimame vorgesehen. Einer für die westlichen Bundesländer Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Kärnten und einer für die östlichen Bundesländer Oberösterreich, Niederösterreich, Wien, Burgenland und Steiermark.

Die vorgesetzte Stelle der Militärimame ist das Präsidialbüro im BMLV. Die Militärimame sind nicht Teil der militärischen Struktur. Sie haben im Unterschied zu ihren katholischen und evangelischen Kollegen keinen militärischen Dienstgrad. Sie erhalten kein monatliches Gehalt. Der für die Besorgung dieser Angelegenheiten erforderliche Sach- und Personalaufwand ist hingegen von der Republik Österreich zu tragen.

Gebetsstätten im Bundesheer

Gebetsraum in der Maria-Theresien-Kaserne – Wien

Anlässlich der feierlichen Angelobung der Rekruten, die mit Jänner 2004 zum Bundesheer eingerückt sind, wurde am 20. Februar 2004 in der Wiener Maria Theresien Kaserne auf Initiative von Herrn Atila Külcü der erste islamische Gebetsraum des Bundesheeres vom Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Anas Schakfeh, Wiens Militärkommandant Generalmajor Karl Semlitsch, Bezirksvorsteher Dipl.-Ing. Heinz Gerstbach und Integrationsstadträtin Mag. Renate Brauner eröffnet. Bei der Angelobung selbst betont die Stadträtin: „Integration ist in Wien und beim Bundesheer Normalität“.

Gebetsraum in der Schwarzenberg-Kaserne – Salzburg

Am 26.05.2023 fand in Anwesenheit des Militärkommandanten Brigadier Peter Schinnerl, IGGÖ-Präsidenten Mag. Ümit Vural sowie der Vertreter der katholischen und evangelischen Seelsorge die feierliche Eröffnung des muslimischen Gebetsraumes in Salzburg statt. Neben der Maria-Theresien-Kaserne ist dies der zweite Gebetsraum für muslimische Angehörige des österreichischen Bundesheeres.

Gebetsraum an der Theresianischen Militärakademie – Wr. Neustadt

Genau 20 Jahre nach der Eröffnung des ersten islamischen Gebetsraumes in einer Kaserne des Bundesheeres (Maria-Theresien-Kaserne) wurde am Dienstag, dem 20. Februar 2024, auch an der Theresianischen Militärakademie ein Gebetsraum für Muslime eröffnet.


Chancen und Herausforderungen der islamischen Militärseelsorge

Unsere Gesellschaft verändert sich. Laut einer Schätzung aus dem Jahr 2015 sind österreichweit zehn Prozent der Grundwehrdiener Muslime, in Wien wird die Zahl der muslimischen Grundwehrdiener auf 25 Prozent geschätzt.[5] Genaue Zahlen liegen derzeit nicht vor, es ist jedoch von einer steigenden Tendenz auszugehen. Die Einführung der islamischen Militärseelsorge hat zahlreiche positive Auswirkungen für die Gesellschaft im Allgemeinen und für die Soldaten im Besonderen. Sie stellt sicher, dass muslimische Soldaten die gleiche religiöse Betreuung erhalten wie ihre katholischen und evangelischen Kameraden. Dies ist ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung ihrer religiösen Überzeugungen. Innerhalb der Truppe fördert dies den Zusammenhalt und das Vertrauen, während es gleichzeitig die Vielfalt im Bundesheer widerspiegelt und ein starkes Signal an die Gesellschaft sendet, dass im Bundesheer jeder unabhängig von Religion und Herkunft respektiert und geschätzt wird. 

Zu den wichtigsten Aufgaben der Militärseelsorger zählt auch die Unterstützung in moralischen und sozialethischen Fragen. Besonders in Krisenzeiten oder bei schwierigen Entscheidungen sind die Soldaten auf den Rat und die Unterstützung von Seelsorgern angewiesen. Ein muslimischer Seelsorger, der sowohl die religiösen als auch die kulturellen Bedürfnisse muslimischer Soldaten versteht, kann hier eine wertvolle Stütze sein.

Es gibt aber auch zahlreiche religiöse Fragen, die während des Grundwehrdienstes auftauchen können, seien es die Speisevorschriften im Islam, die Handhabung des Fastens im Ramadan, Fragen zum Gebet oder zu religiösen Feiertagen. Auch hier schafft der muslimische Seelsorger Klarheit sowohl für die Verantwortlichen im Bundesheer als auch für die jungen Soldaten.

Gegenwärtig ist bei jungen Muslimen eine Tendenz zu eher radikalen Ansichten zu beobachten, die vor allem durch Prediger in den sozialen Medien wie TikTok oder Instagram gefördert wird. Eine gut integrierte islamische Militärseelsorge kann eine Anlaufstelle für die Jugendlichen sein und dazu beitragen, extremistischen Ideologien entgegenzuwirken und Radikalisierungstendenzen vorzubeugen.

Die Arbeit der islamischen Militärseelsorge im österreichischen Bundesheer ist aber auch geprägt von zahlreichen Herausforderungen, denen wir im Alltag begegnen. Eine bessere Integration der muslimischen  Militärseelsorger in die bestehenden Strukturen des Bundesheeres ist unabdingbar. Die mangelnde  institutionelle Einbindung erschwert die Zusammenarbeit mit den militärischen Strukturen und beeinträchtigt die Effizienz und Effektivität unserer seelsorgerischen Arbeit, da sie einen administrativen Mehraufwand bedeutet.

Eine weitere große Herausforderung ist der Mangel an Ressourcen. Es fehlen die notwendigen technischen, personellen und finanziellen Mittel, um eine umfassende Betreuung sicherzustellen.

Die Erwartungen an die islamische Militärseelsorge sind hoch und kommen von unterschiedlichen Akteuren:  Erwartungen der Soldaten, der militärischen Vorgesetzten, der muslimischen Gemeinschaft und der breiten Gesellschaft. Diese vielfältigen und manchmal widersprüchlichen Erwartungen können zu einer Belastung werden und die Arbeit zusätzlich erschweren.

Derzeit sind nur wir zwei muslimische Militärseelsorger für ganz Österreich für die Betreuung von Soldaten in mehreren Bundesländern zuständig. Das bedeutet, dass wir sehr viel im Land unterwegs sind, unsere Zeit und Ressourcen auf verschiedene Standorte aufgeteilt werden müssen. Das erschwert die persönliche Betreuung der muslimischen Soldaten.

Ausblick und Fazit

Trotz der Herausforderungen hat die Arbeit der letzten zwei Jahre gezeigt, dass Angebote der islamischen Militärseelsorge sehr gut und gerne angenommen werden. Dies wird uns regelmäßig als positives Feedback von den Soldaten zurückgemeldet, was die Wichtigkeit und Notwendigkeit  unserer Arbeit unterstreicht.

In Zukunft liegt unser Fokus darauf, Strukturen aufzubauen und unsere Arbeit weiter zu professionalisieren. Besonders hervorzuheben ist die hervorragende Zusammenarbeit mit den Militärkommandanten in allen Bundesländern. Diese Kooperation ist entscheidend für den Erfolg unserer aller Arbeit.

Auch die interreligiöse Zusammenarbeit steht dabei im Mittelpunkt und soll weiter ausgebaut werden. Diese Kooperation hat eine gesamtgesellschaftliche Vorbildwirkung, die besonders bei gemeinsamen Auftritten, wie bei Angelobungsfeiern, deutlich wird. Solche Veranstaltungen zeigen, wie religiöse Vielfalt und gegenseitiger Respekt gelebt werden können.

Letztlich hoffen wir, dass unsere Arbeit die entsprechende Anerkennung findet und dass mehr notwendige Ressourcen für die islamische Militärseelsorge freigegeben werden. Nur mit einer entsprechenden Unterstützung können wir weiterhin eine stabile und verlässliche Betreuung gewährleisten.

Österreich hat mit der Einführung der islamischen Militärseelsorge eine Vorreiterrolle in Europa eingenommen. Dieses Modell setzt ein Zeichen für Vielfalt und Inklusion. Es bleibt zu hoffen, dass diese Bemühungen als Vorbild für andere Länder dienen und die Anerkennung finden, die sie verdienen.

Kenan Čorbić, MA & Hajret Beluli, BEd


[1] Balic, Smail: Zur Geschichte der Muslime in Österreich I. Lebensräume und Konfliktfelder, in Heine (Hrsg.), Islam zwischen Selbstbild und Klischee. Eine Religion im österreichischen Schulbuch (1995), 23-24; Bihl, Zur Stellung des Islam in Österreich, Österreichische Osthefte 3 (1991), 585; Strobl, Islam in Österreich. Eine religionssoziologische Untersuchung (1997), 18-19.

[2] Offiziell spricht man vom Jahr 1912 als das Jahr des Islamgesetztes. Allerdings wird der Islam in Österreich bereits vor dem Berliner Kongress auf der Grundlage des Gesetzes vom 20. Mai 1874 anerkannt (Das RGBI Nr. 68 bezieht sich auf die rechtliche Anerkennung der Religionsgemeinschaften).

[3]ef. ist die Abkürzung für Efendi, was Herr bedeutet. Es ist ein Titel, der den gelehrten Menschen insbesondere islamischen Priestern (Imamen) verliehen wird.

[4] Statistik Austria, 2021. URL: Religionsbekenntnis – STATISTIK AUSTRIA – Die Informationsmanager (Zugriff am 26.12.2022).

[5] Der Standard: Bundesheer. Kein Generalverdacht gegen muslimische Soldaten. Online verfügbar unter: https://www.derstandard.at/story/2000019481358/bundesheer-kein-generalverdacht-gegen-muslimische-soldaten, abgerufen am 12.07.2024. 

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