Am Montag, dem 2. Dezember 2024, veranstaltete die IGGÖ eine Fachtagung zur Etablierung einer Imam- und Seelsorgeausbildung in Österreich. Die Veranstaltung bot ein breitgefächertes Forum für Fachvorträge, Diskussionen und Ideenaustausch mit Expert:innen, Gemeindeverantwortlichen und Wissenschaftler:innen. Ziel war es, konkrete Schritte zur Entwicklung einer zeitgemäßen Ausbildung zu diskutieren und Impulse für die Weiterentwicklung zu gewinnen.
IGGÖ-Präsident Ümit Vural betonte die gesellschaftliche Relevanz des Vorhabens: „Eine moderne Imam-Ausbildung hat das Potenzial, nicht nur den muslimischen Gemeinden zu dienen, sondern auch unsere gesamte Gesellschaft zu bereichern. Sie kann Brücken bauen, Dialog fördern und ein Miteinander schaffen, das auf Respekt und gegenseitigem Verständnis basiert.“
Fachliche Impulse und Perspektiven
Die Tagung bot zahlreiche Fachvorträge, die wertvolle Impulse für die zukünftige strukturelle und inhaltliche Gestaltung der Ausbildung lieferten. Ömer Özsoy analysierte die historische Entwicklung des Imamats und dessen heutige Relevanz, während Dr. Mahmoud Abdallah die Bedeutung theologischer Fundierung der islamischen Seelsorge betonte. Canan Bayram hob die Rolle von Frauen in der Wissensvermittlung hervor, und Rüdiger Lohlker beleuchtete die zunehmende Bedeutung der virtuellen Präsenz von Imamen. Zekirija Sejdini forderte praxisnähere Ausbildungsmodelle, während Bülent Ucar das Islamkolleg Deutschland als innovatives Beispiel vorstellte. Michael Reidegeld betonte die Brückenfunktion von Imamen im interreligiösen Dialog, und Ayşe Almıla Akca beleuchtete Herausforderungen für Frauen in Theologie und Gemeindearbeit. Fatima Cavis und Adem Aygün lieferten empirische Erkenntnisse zu den Erwartungen junger Menschen an Imame.
Die Rolle der Imame und Seelsorger:innen neu denken
Ein zentrales Thema, das sich durch alle Beiträge zog, war die Notwendigkeit, die Rolle der Imame und Seelsorger:innen angesichts gesellschaftlicher Veränderungen neu zu definieren. Die Ausbildung des zukünftigen geistlichen Nachwuchses muss sich an den realen Herausforderungen orientieren, mit denen muslimische Gemeinden konfrontiert sind. Die Kombination aus fundierter theologischer Ausbildung und praxisorientierter Vorbereitung wurde von allen Teilnehmenden als unerlässlich hervorgehoben.
Die Gemeinden als Herzstück
Besonderer Fokus lag auf der Bedeutung der muslimischen Gemeinden, die als Zentrum des religiösen Lebens und Praxisorte der Ausbildung verstanden werden. Die Tagung machte deutlich, dass eine erfolgreiche Imam- und Seelsorgeausbildung nur möglich ist, wenn sie die Bedürfnisse und Erwartungen der Gemeindemitglieder widerspiegelt. Absolvent:innen müssen befähigt werden, auf die Sorgen, Fragen und Wünsche der Gemeindemitglieder einzugehen, um eine nachhaltige Bindung und Unterstützung zu gewährleisten.
Frauen und Jugendliche als Schlüsselgruppen
Die stärkere Berücksichtigung von Frauen und Jugendlichen stand ebenfalls im Mittelpunkt der Diskussionen. Historische Vorbilder verdeutlichen, dass Frauen eine zentrale Rolle in der islamischen Wissensvermittlung und Gemeindearbeit gespielt haben. Diese Tradition müsse gestärkt werden, erklärte Canan Bayram, die Frauen als aktive Gestalterinnen der Gemeindearbeit sieht.
Jugendliche wurden als zentrale Zielgruppe identifiziert, da sie in einer zunehmend digitalisierten und globalisierten Welt Orientierung suchen. Die Herausforderungen, die durch die Verbreitung verzerrter islamischer Inhalte in sozialen Medien entstehen, verlangen eine gezielte Ansprache junger Menschen durch authentisches Wissen und glaubwürdige Vorbilder.
Ein Modell für die gesamte Gesellschaft
Die Tagung zeigte auch auf, dass die Imame-Ausbildung weitreichende gesellschaftliche Vorteile haben kann. Imame spielen zunehmend die Rolle von Brückenbauern zwischen Kulturen und Religionen und tragen zum interreligiösen Dialog und gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Die Professionalisierung der Ausbildung sollte daher in Zusammenarbeit mit staatlichen und gesellschaftlichen Akteur:innen erfolgen, um ein gemeinsames Verständnis zu fördern.
Internationale Erfahrungen und lokale Kontexte
Einblicke in internationale Modelle, wie das Islamkolleg Deutschland, boten wertvolle Orientierung für die Weiterentwicklung eines österreichischen Ausbildungsweges. Dabei wurde betont, dass die österreichische Ausbildung jedoch die spezifischen politischen, rechtlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten des Landes berücksichtigen muss, um passgenaue Lösungen zu entwickeln.
Zukünftige Schritte
Die Tagung endete mit einem klaren Aufruf zur Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Wissenschaft, politischen Entscheidungsträger:innen und der Zivilgesellschaft. Gemeinsam sollen Strukturen geschaffen werden, die eine Ausbildung ermöglichen, die Theologie, Praxis und gesellschaftliche Verantwortung vereint.
IGGÖ-Präsident Ümit Vural formulierte den Ausblick: „Die Herausforderungen sind groß, doch die Chancen sind es auch. Die Ausbildung neuer Imame und Seelsorger:innen ist nicht nur ein Projekt für die muslimische Gemeinschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft. Gemeinsam können wir eine Ausbildung gestalten, die uns allen zugutekommt.“
Die Erkenntnisse der Tagung sollen nun aufgearbeitet und in einer Publikation im Frühjahr 2025 veröffentlicht werden. Ziel ist es, die Weichen für eine nachhaltige und innovative Imam- und Seelsorgeausbildung in Österreich zu stellen.